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Geldspiel ohne Ende

Roman. Von Erika und Nora Wimmer

 

 

 

[Zwischendurch eins und noch mehr]

 

„Geld ist genauso wichtig wie alles andere auf der Welt“, pflegte Luzi zu sagen. Dabei hatte man das unbedingte Gefühl, sie spreche mehr von der Welt als vom Geld. Luzi hatte Geld. Sie hatte genug Geld für alles, was sie brauchte.

 

„Manche brauchen eben mehr davon“, sagte sie und sprach damit einige Verbote aus. Sie verbot ihrer Umgebung, Leute, die viel Geld hatten, zu verachten. Sie verbot ihrer Umgebung, zu jenen, die viel Geld hatten, aufzusehen. Es anderen zu neiden, war unnütz. Es anzubeten, war lächerlich. Es zu verachten, war falsch. Es zu verschleudern, war dumm.

 

„Es nicht zu haben, ist ein Fehler“, meinte Luzi trocken, wenn man sie anpumpte, was Mama manchmal hinter Vaters Rücken tat. Tante Luzi gab jedem Geld, der sie darum bat. Manchmal waren die geborgten Summen nicht gering. Trotzdem sagte sie nie, dass und wann sie es zurückhaben wolle. Sie bekam es ganz einfach zurück. Man brachte ihr das geliehene Geld und Luzi steckte es genauso selbstverständlich ein wie sie es zuvor weggegeben hatte. Interessant war, wie sie Geld umverteilte. Cindy, die Amerikanerin mit den roten Lippen und dem dicken Hintern – sie wohnte in Luzis Haus – klingelte eines Morgens, als wir im Wald beim Hirschen saßen. Gemeinsam gingen wir zur Tür und öffneten. Cindy hatte sich wieder einmal Geld geliehen, jetzt wedelte sie mit einigen Geldscheinen vor Luzis Nase herum, „thank you so much, dear“, zwitscherte sie.

Luzi meinte nur:

 

„Bring' s runter zu Kurt. Der braucht gerade was.“

Kurt wohnte im Souterrain des Hauses und sah sehr schlecht aus. Was mit ihm los war, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, Luzi erzählte zwar massenhaft Geschichten, doch nur über sich selbst und über die Familie. Was andere betraf, war sie der diskreteste Mensch. Da Kurt mir nicht geheuer war, machte ich immer dann, wenn ich ihm allein begegnete, einen großen Bogen um ihn.

Luzi ließ das Geld kursieren. Das begriff ich bald, denn ich war auch dabei, als Kurt ein paar Tage später mit dem Geliehenen ankam und verkündete:

 

"Ich hab wieder einen Job.“ Das klang gerade so, als habe das Geld bewirkt, dass er einen Job bekommen hatte. Luzi nahm Kurts Geld an sich und steckte es in ihren Ausschnitt, nicht in die Tasche. Etwas später gingen wir zum Einkaufen. Wir stiegen die Treppe hinunter, ich an Luzis Hand. Luzi konnte im Stiegenhaus nur sehr langsam gehen, ihr Gewicht machte ihr treppauf wie treppab ziemlich zu schaffen. Mit der rechten Hand hielt sie sich am Geländer, mit der linken an mir fest. Unten angekommen, wollte sie nicht gleich nach draußen, sondern zuerst noch hinunter ins Souterrain, wo sie vor Kurts Wohnungstür für einige Augenblicke nur da stand und mächtig schnaufte. Dann fingerte sie nach den Scheinen in ihrem Ausschnitt und steckte sie durch den Briefschlitz mit den Worten: „Er wird es noch eine Weile brauchen“.

 

Auf diese Weise war das Geld immer unterwegs. Auch wenn solche Dinge sie ermüdeten, Luzi beauftragte niemals mich, etwas zu erledigen, sie führte alles eigenhändig aus und das war wichtig.

          

Manchmal fand ich, wenn ich in Luzis Büchern kramte, einige Geldscheine. Einmal lieh ich ein paar Scheine für einige Tage aus, um meine Tante zu prüfen, steckte sie das nächste Mal aber beschämt zurück. In den Behältern, die überall in Luzis Wohnung herumstanden, lagen Geldmünzen. Die Büchsen und Schachteln waren kunstvoll verziert, bemalt, mit Bast umwickelt oder beklebt. Die Münzen glänzten und sahen sehr schön aus, ich blieb gern bei einer der Schalen stehen und ließ die Finger über sie gleiten. Sie fühlten sich kühl und glatt an, ich nahm eine der Münzen heraus und betrachtete sie eingehend. Diese Münzen übten eine große Anziehungskraft auf mich aus, doch wirkten sie zugleich seltsam wertlos. Man konnte sich nicht vorstellen, mit diesem Geld ins Geschäft zu gehen und einzukaufen. Die Münzen waren zwar normales Geld, mittlerweile aber zur Zierde der Wohnung verkommen. In den Geschirrschränken, Kommoden und Vitrinen, überall blitzten bei Luzi Geldscheine und Münzen heraus. Einmal da, ein andermal dort, nie war das Geld am gleichen Ort. Es war Kurts, Cindys, Mamas, Fernandas, Bubis oder Lilos Geld. Geld, das ausgeliehen, zurückgebracht und zwischengelagert wurde. Solange, bis es wieder weiterwanderte.

          

Ich wusste, Luzi verfügte wie jeder erwachsene Mensch über eine Geldbörse. Ich fragte sie, ob sie ein Einkommen habe, sie antwortete: „Na freilich, mein Kind.“ Ich wollte wissen, ob sie ein Sparbuch besitze, sie sagte: „Aber sicher, mein Schatz.“

 

Ich wollte wissen, ob sie wie andere alte Leute auch eine Pension bekäme. Luzi sagte „später vielleicht“. Sie sagte immer bloß „sicher“ und „ja, ja“ – gerade so als sei es die normalste Sache der Welt normal zu sein. Aber Luzi war nicht normal, sie ließ das Geld herumliegen, als wäre es geradezu nichts, während alle anderen ihr Geld behandelten, als wäre es etwas ganz Besonderes.

Ohne Geld konnte man nicht leben, Geld war wichtig, soviel war klar. So sorglos wie Luzi mit Geld umging, musste sie demnach unendlich viel davon haben. Sie musste wirklich sehr reich sein, vermutete ich. Das war ein Missverständnis und stimmte doch. Denn dass Reichtum weniger mit der Menge an Geld als mit der Menge an Wünschen zu tun hat, erfuhr ich an mir selbst: Bei Luzi durfte ich mir alles wünschen und bekam es, ohne lang betteln zu müssen. Doch merkwürdigerweise hörte ich bei ihr auf, mir etwas zu wünschen.

 

Ich stöberte, kramte und stocherte in ihren Sachen herum, aber eigentlich wollte ich nur eins, ihre Geschichten. Indem ich die Dinge angriff und wieder losließ, brachte ich die Zeit herum. War Luzi mit Rahmen, Papier, Pappe oder Aufklebern beschäftigt, konnte sie nicht erzählen. In diesen Zeiten durfte ich in ihrer Wohnung frei umher streunen. War sie mit der Arbeit fertig, wobei sie das Wort „Arbeit“ niemals benutzte, setzte sie sich in ihren Wald-und- Wiesen-Sessel, das war das Zeichen. Ich zog die Schuhe aus, betrat das Gemälde und hockte mich zu ihr.

 

Es kam vor, dass Luzi ihren Erzählfluss plötzlich unterbrach und sich von ihrem Sessel erhob. Sie hatte eine Eingebung gehabt und ging ins Badezimmer, starrte auf die Rahmen über der Badewanne. Sie nahm einen der Rahmen ab, was ihr nicht leicht fiel, denn dazu musste sie ihren schweren Körper über die Badewanne beugen oder gar in die Wanne steigen, um an den Gegenstand heranzukommen. Wollte ich ihr die Arbeit abnehmen, winkte sie ab. Mit dem Ding in der Hand wankte sie keuchend in den Flur und prüfte die dort hängenden Rahmen eingehend. Sie nahm etwa einen Rahmen vom Nagel und hängte den anderen an seine Stelle, sie überlegte. Sie konnte die Position der Rahmen mehrere Male ändern, ganz in sich versunken und ohne ein Wort zu sagen. Irgendwann schien sie zufrieden zu sein und kehrte zu ihrem Sessel zurück.

 

„Das war Soundso“, sagte Luzi, aber es hätte genauso gut Paul, Herbert, Johannes, Peter oder Gustav sein können. Namen waren für Luzi nicht wichtig, nur Eigenschaften. Sie beschrieb ihre Männer so genau, dass man sie sehen konnte, mit allem, was sie an sich trugen, mit einer genauen Vorstellung der Dichte ihres Schnurrbartes und der Art ihrer Frisur. Man wusste, wo Gustav den Scheitel zog,  man kannte Pauls Haarfarbe bis ins Detail, den Schimmer seiner Haare zur jeweiligen Tageszeit, und Peters liebste Krawattenfarbe kannte man, die Qualität seiner Hemden und ob er die Hosen mit Bügelfalte trug oder nicht. Neben den Äußerlichkeiten erfuhr man so einiges über den Charakter der Männer. Manche waren scheu, einige sogar gehemmt, andere wieder forsch und bestimmt, die nächsten waren langweilig, das war das Schlimmste, die Besseren waren laut, vulgär oder eben: „sehr fän“. „Sehr fän“ war Luzis Nonplusultra, das nicht weiter ausgedeutet wurde.

 

Man konnte die Männer nicht nur sehen, sondern auch hören, man kannte das Timbre ihrer Stimmen, wusste, welches Idiom sie benutzten und welche Platte sie wann auflegten. „Fän“ waren vor allem Stimmlagen, Luzi schwärmte für Bässe, Tenören stand sie skeptisch gegenüber. Der Gedanke an einen verflossenen Bass trieb ihr, so sagte sie, noch Jahre danach den Schweiß aus. War ein Tenor ein guter und ehrlicher Mensch, so durfte er sich ausnahmsweise auch einmal ein „sehr fän“ abholen. Luzi war da nicht so, was konnte der Mann auch dafür ein Tenor zu sein.

 

Interessant wurde es, wenn Luzi über die politischen Couleurs ihrer Männer sprach. Sie hatte alles in ihrer Sammlung, „Bolschewiken“ genauso wie „Konservos“  oder „Paten“. „Pate“ und „Machos“ waren politische Etiketten genauso wie „Fasci“.

Paten waren Luzis ganz große Schwäche, den Kriminellen verfiel sie ausnahmslos, zumindest fürs erste. War sie erst einmal mit einem Paten zusammen, so fand sie sein Treiben inakzeptabel und begann, den Mann bis aufs Blut zu bekämpfen. Von der Geliebten verwandelte sie sich in die Verfolgerin, kein Pate brachte Luzi jemals in ernsthafte Bedrängnis, los werden konnte sie ihn aber nur, indem sie ihn der Polizei auslieferte.

           

Gefährlicher als ein Pate war ein Macho. Machogehabe konnte Luzi zwar nicht beeindrucken, doch kam es vor, dass sie einen Macho zu lieben begann – aus anderen Gründen. Zum Beispiel weil der Macho Pilot war, was Luzi erotisch entzündete, obwohl sie, wie sie sagte, niemals ein Flugzeug bestiegen hätte. Damit wäre sie dem Macho ausgeliefert gewesen, was nach den ersten Höhenflügen zu einem entschiedenen SOS hätte führen können; es hätte Rettungsmaßnahmen wie Tandemfallschirmsprünge nach sich ziehen können – schrecklich!

 

Fasci waren von vorneherein ein Spiel mit dem Feuer, dem eigenen Wohl in keiner Weise zuträglich. Einen Fascio durchschaute Luzi sofort, sie nahm ihn nur, um ihn zu bestrafen. Solches war den beiden Rechtsaußen ihres Lebens, Herrmann und Giovanni, geschehen, in kleinen schwarzen Rahmen untergebracht hatten sie ihren festen Platz in der Nähe der Wohnungstür. Damit durch regelmäßiges Lüften bei geöffneter Tür der Gestank entweichen konnte, ohne Luzis Gemächer queren zu müssen. Die aus Gründen der Geruchsbeseitigung oftmals offen stehende Wohnungstür führte mitunter dazu, dass plötzlich unangemeldet Menschen in Luzis Wohnung standen. Ob fremd oder nicht, sie bekamen alsbald ein Schnäpschen oder einen Kaffee. 

 

Nicht jeder Rahmen war einem bestimmten Mann zugeordnet, Luzi hatte da ihre eigentümlichen, nicht durchschaubaren Hierarchien. Namen spielten, wie gesagt, keine besondere Rolle in ihrem vergangenen Liebesleben, nur die Taten zählten. Otto konnte innerhalb einer Geschichte zu Werner und weiter zu Anton mutieren, ohne dass dies Luzi auch nur aufgefallen wäre. Was OttoWernerAnton aber tat und dachte, war eindeutig. Sein Charakter war klar gefasst und für die Zuhörerin wurde somit nachvollziehbar, weshalb er ganz und gar nicht geeignet war, der Vater von Luzis Kindern zu werden.

Männer waren Kosmos, Ozean, Luft und Raum. Luzi genoss sie und ließ sie fallen, sie baute sich an ihnen auf und reagierte sich an ihnen ab. Mit Männern war das Leben „fäner“ als ohne. Sie wurden berührt und geohrfeigt, beschenkt und ausgebeutet. All das durfte sein, es machte nichts aus. Luzi badete in der männlichen Energie, das brauchte sie, ganz nebenbei ließ sie ihren Macken freien Lauf. Und das in voller Absicht und bei klarstem Bewusstsein. Luzi war zwar nicht normal, aber sie war keineswegs verrückt. Sie war präsent und wach und sie wusste, was immer sie inszenierte, es tat den Männern nicht weh. War das nicht wunderbar? Rote Rahmen, grüne Rahmen, Nuss, Fichte, Lack oder Textil. In der Küche, über dem Sofa, links von der Tür oder über der Wanne. Dem Treiben waren keine Grenzen gesetzt und das war auch nicht nötig, wo die Rahmen doch alle leer waren.  

 

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