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IRDISCH BEI TISCH

 

er ist kein außerirdischer, er kommt nicht vom mars. er ist kein gespenst der vergangenheit, das man vertreiben könnte. er ist nicht lange vorbei. er ist nicht weit weg. er ist nicht nur im ausland, auch im inland. er ist nicht nur im eigenen land, sondern auch im dorf. er ist nicht nur beim nachbarn, auch im haus. er ist nicht nur im heim, sondern mitten in der stube drin. er ist nicht nur in der stube, auch im eigenen bett. er liegt nicht unter der matratze, sondern unter den federn. nicht nur räkelt er sich unter der bettdecke, er hockt auch im kopf. aber er ist nicht bloß ein hirngespinst, körperlos. den mädchen wird er in den zopf geflochten, den buben als schleuder in die hand gedrückt.

 

er sitzt ganz irdisch bei tisch

manche nehmen ihn wie einen gast auf und geben ihm zu essen

 

von den einen wird er gerufen, von den anderen toleriert. häufig wird er eingeladen. er wird als experte in die firma geholt. er soll sanieren. er soll ankurbeln und wiederherstellen. er soll tun, was versäumt wurde. er soll zurechtrücken und stark machen. er soll wieder zu ansehen verhelfen. er soll die widersprüche aufheben und glätten, sicherheit geben und halt. er soll zusammenhalten und verteilen. er soll ermöglichen und fruchtbar machen. er soll anderen standhalten, sie zurückweisen. er soll die gefahren beseitigen. er soll sich was einfallen lassen und machen, daß alles wieder gut wird.

 

mach, daß es wieder wird

laß nur, er macht das schon

der papa wirds schon richten

 

er kommt nicht unvermittelt. er steht nicht plötzlich vor der tür. er rennt nicht herein und wirbelt staub auf. er fällt nicht wie das blaue vom himmel. er kündigt sich an. er ist schon da und nähert sich schleichend. allmählich tritt er aus dem schatten heraus. manchmal kommt er als fisch. ein andermal als reh. ein weiteres mal als fuchs. ein viertes mal als schafspelz. plötzlich zeigt er sich und lächelt. er wirbt und bekommt zuspruch. im allgemeinen schweigen macht er sich platz. er weiß das  achselzucken zu nutzen. während andere nur reden, handelt er. während andere streiten, schart er um sich. er spricht eine einfache sprache und hat schnelle lösungen in der tasche. er verkörpert das machbare und verleiht sicherheit.

 

er gewinnt gut und regiert schlecht

er wird zur katastrophe

und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch

 

er wird verschwiegen und zu einem mythos. dadurch erscheint er fremd. damit ist er fort und weit weg. er ist scheinbar unschädlich gemacht. er ist scheinbar außerhalb der zeit. oder tief in der vergangenheit. am besten im jenseits. dann ist er abwesend. dann ist er ausgeklammert. dann hat es ihn nie gegeben.

 

es hat ihn nie bei einem selbst gegeben

 

manche vergessen ihn und kennen sich nicht aus. man will sich nicht erinnern. man will nicht dabei gewesen sein. man will nichts damit zu tun gehabt haben. so ist man nicht. man ist damals anders gewesen und erst jetzt. er ist das bedauerliche, das geschehen ist. er ist das letzte, was hätte geschehen dürfen.

 

als ausgestoßener kommt er so sicher zurück wie das amen im gebet

 

ohne widerhall ist er schwach. ohne klangkörper tönt er nicht. ohne scheinwerfer strahlt er nicht. ohne applaus existiert er nicht. indem man ihn vertreibt, hält man ihn bei der stange. indem man ihn verbannt, bleibt er bereit. da man ihn verdrängt, lebt er im stillen fort. er ist nicht zu bannen, nur zu zähmen. man kann nur zähmen, was man kennt und begreift. welcher schritt, welcher kreis, welche gruppe? was für ein gesicht, was unter dem hut, wieviel im hosensack, was auf dem buckel? die miene. das gewand. die geste. der quadratmeter. die nation. die muster. das geld, der kult des geldes, die regeln der wirtschaft. der hintergrund, der hintersinn.

 

die verführung:

feine speisen serviert von keinem freund

der wein keines bauern

das tuch keiner frau

 

nicht die schuhe gehen mit uns, sondern wir mit den schuhen. wegschauen, einmal nicht. abhauen, nein. zuschlagen, wozu. wegplappern, niemals.

 

ihm einen namen geben. seinen gang beobachten. registrieren und erinnern. das verhalten benennen. die schatten herbeirufen. das echo hören. nach innen horchen. nirgendwohin gehen, dableiben: da sehen, da hören, da sprechen. erschrecken und es aushalten.

 

der fisch schwimmt im wasser. der fuchs schleicht im gehölz. das reh frißt an der futterstelle. der wolf hat im schaf sein opfer. er ist nicht ein einzelner. er ist niemals allein. kein gewebe als kette. kein gewebe ohne schuß. das gewebe ist der boden, auf dem er agiert. es verdeckt, es hält nieder, verdunkelt und versperrt. was darunter liegt.

 

was darunter liegt: nichts kalkulierbares, nichts braves. was sich nicht einschränken läßt. was nicht verbietet, jedoch maßhalten lernt. was ans tageslicht bringt, statt zu vertuschen. was schwächen zeigt, statt den starken mann zu spielen. was nicht zum schweigen verpflichtet, sondern zum reden einlädt. was die wahrheit sagt und nichts schönredet.

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