Brot und wir
– die Werkstätten oft nicht mehr als ein Tuch – ein ausgebreitetes Tuch und etwas Werkzeug. Werkstätten bestehend aus einer Kiste, ein paar Eisen – nicht mehr. Auf dem Erdboden hockend wird gearbeitet und das Hergestellte auch gleich verkauft. Und hocken – und stocken – und stauben.
Überall wird Essbares angeboten.
Essen für die Menge.
Essen für die Vielen.
Staubiges Brot für die Welt.
Die Gemüsefrauen sitzen – oder hocken – manche lächeln. Sie verkaufen – und haben nur ein Häufchen Bohnen vor sich liegen – sie bieten ein paar Bohnen feil – ein paar Früchte – ein paar Nüsse.
Hocken im Staub mit ihren unergründlich lachenden Augen. Verschmitzt wackeln die Köpfe – ein Ja im Gesicht.
Die Ärmsten sitzen in der ersten Reihe – erste Reihe, nicht fußfrei. Vielmehr mitten – oder so gut wie – auf der Straße, der Fahrbahn – soweit überhaupt von einer solchen zu sprechen ist – kein Asphalt in den Ortschaften, die keine Städte – die Straßen nur selten geteert – und wenn, dann überholungsbedürftig – zerschlissen – voller Gräben, Furchen und Löcher. Sitzen – hocken – besitzen – verkaufen – und sitzen.
Menschen und Fahrzeuge mischen sich zu einem staubüberzogenen Durcheinander.
Menschen – Fahrzeuge – Menschen – soweit das Auge reicht.
Kleine Gebäude – mehr Garagen als Häuser – Baracken, Schuppen und Verschläge – beherbergen weitere Läden, die Süßigkeiten bieten – klebrig Süßes und gepfefferte Chips – überzuckerte Säfte – und: neben industriell abgefüllten Wasserflaschen auch die üblichen vor Ort gefüllten Behälter mit dem höchsten Gut des Planeten.
Wasser.
Wasser!
Wasser ist der halbe Planet, Wasser sind wir.
Vor Ort gefüllte Behälter – Ausländer lassen besser – Ausländer lassen – sie lassen die Finger davon.
Wir lassen besser die Finger – und die Augen auf dem Boden – und die Hände an der Membran.
Wir lassen uns nicht darauf ein. Da fahren wir nicht mehr hin.
Ist ja schrecklich, ist ja öd, ist ja blöd.
Aber wer sind wir.
Wir sind das Wasser – wir sind die Seuchen – und das Wasser – die auf Wasser folgenden Seuchen. Wer, wenn nicht wir – andere gibt es hier nicht – nicht auf diesem Planeten.
Indien Punkt hier.
Indien und wir.
***
Ausschau halten. Durch die Dörfer fahrend Ausschau halten nach den kleinen und kleinsten Werkstätten – auf einem Viereck – oft nur einem einzigen Quadratmeter – erstaunlich.
Textilhandwerk, wo man hinschaut – ein Blick durch offene Tore – das Entdecken der Schneider. Im Halbdunkel fünf Maschinen – über das Surren gebeugte Köpfe – und Herrenhemden gestapelt – jede Menge davon. Gebeugte Arbeit – Surr – Surr. Arbeit an Kurtas, Hosen und Hemden – das Ergebnis perfekt wie aus einer Fabrik. Die Schneiderinnen nach hinten verdrängt – im Dunkel eines unscheinbaren Kabuffs kauern sie und zaubern – sie verzaubern gemusterte Stoffe zu anmutigen Dupattas. Beugen – und ducken – und zaubern – und surren.
Zahlreiche Stoffläden säumen die staubigen Straßen – auch sie nur zwei drei Quadratmeter groß. Indien macht aus so manchem schmutzigen Winkel eine farbige Oase – einen Ort der Freude und des Vergessens. Ortsfremde betreten die bunten Winkel – um dem Dreck zu entfliehen. Auch Serviceleistungen wie das Bügeln von Kleidung werden angeboten – wozu die schweren, mit glühender Kohle gefüllten Eisen Verwendung finden. Rauch und Dampf steigen auf.
Das Ausbessern von Gerätschaft und Lederwerk – von Kochtöpfen und Sätteln – Körben, Taschen, Schuhen und Latschen ist auf Indiens Straßen gefragt – ebenso die rasche Rasur oder die Waschung von Haaren, der Haarschnitt. Blumengirlanden und Blütengestecke neben Kästchen aus Sandelholz – kunstvoll Geflochtenes, aus trockenen Bananenblättern gearbeitete Teller und Schalen.
Etwas sticht hervor. Neben den vielen bescheidenen Buden da und dort die Werkstatt eines Mechanikers – stattlicher, größer – sticht hervor der mit Ornamenten und Bildern verzierte Eingangsbereich eines Goldhändlers – Ornamente und die Konterfeis Heiliger, wohin man schaut.
Gelbes indisches Gold.
Und stechen – verzieren – stechen – und verzieren.
Kurzweilig ist es, eine holprige Dorfgasse entlang zu schaukeln – am Ortsende ist der Fremde von Staub übersät und von Hustenreiz geplagt – oder niedergestreckt von der Hitze – von der stehenden Hitze des Busses. Im Fahrzeuginneren ganz aufgelöst – hochrot die Wangen, die Stirn – ein nasser Fetzen auf einem plastikbezogenen Sitz.
Und nass – und triefend – und sitzend – auf Plastik.
Schweißtriefend und staubfrei – oder trocken und von Staub ganz bedeckt.
Und der Verkehr fließt wie Wasser.
Weißer Staub fließt über den Leib.
Am Ende kommt alle Bewegung mit einem Mal zum Erliegen – der Bus stoppt. Hält an und rollt noch ein wenig und hopst auf und ab – Bremshöcker – acht, zehn oder mehr – laufen quer über die Fahrbahn – sie drosseln – und bremsen. Zehn Höcker zwingen den Verkehr nieder – legen ihm Ketten an – drosseln ihn auf Kriechgeschwindigkeit – lahm – für Minuten.
Kinder – ein ganzes Rudel – queren die Straße – und unter Gejohle – sie winken und lachen – ein Mädchen singt. Es ist hier nicht Gasse, nicht Sträßchen, nicht Feldweg. Hier ist Überlandstraße – die Autobahn Indiens. Die Hauptverbindung von Bangalore nach Mangalore, von der Hauptstadt des Südens zum Hafen im Westen. Und die Kinder spazieren und trällern und winken – während der Verkehr – ein geduldiger Elefant – einfach steht. Die schwarzen Quasten über den Rädern schwingen noch nach – der Elefant schwingt den Rüssel.
Bis sich alles wieder bewegt. Die Karosserien ächzen – und schaukeln und hopsen – je nachdem.
Überhaupt ist die Gegend hier sehr bevölkert – sind auf beiden Straßenseiten Menschen zu sehen – keine Häuser weit und breit – nur Menschen, Menschen und wieder Menschen. Wo wandern sie hin – wo sind ihre Zelte – wo ein Erdloch – ein Baumhaus – eine Decke? Eine Decke zum Liegen, eine Decke gegen die Sonne.
Der Sinn des Lebens ist dieser Ort, ist die Straße. Hier ist Arbeit – Verdienst und: Essen.
Brot für die Welt.
Hier, wo die Trucks vorüber brausen, werden Steine geklopft – Tiere versorgt – Gräser gebündelt – und Früchte verkauft.