Blast Trauermärsche
Zu dritt sind sie zusammengekommen, ein kahles Fenster mit prachtvoller Aussicht auf die Weinrebenhänge. Der Einarmige lässt die Weichheit seines Körpers sich vordrängen, umringt, von zwei Frauen umringt, lächelt, nickt, zupft an den nicht vorhandenen Jeansfalten, lässt die goldene Halskette, das dick geformte Kreuz, durch die Finger gleiten, wirft fragende Blicke um sich, wer sagt Ja, nehmt mich wie ich bin.
Und heimischer findet sie den Ort mit jedem Blick des Einarmigen: schnelle Sympathie. Eine Art Herzbube.
Da fällt, überraschend, die Information, entspringt seinem Selbstgespräch, schon wieder sei er von P. angerufen worden, der immer das Gleiche wolle, der immer Diener suche, Diener des Geldes, hinaus, über die Grenze gedient, man versteht. Sie sagt, obwohl eigentlich kein Vorschlag, sofort zu, wieviel Geld? Zehn Prozent wolle sie. Kein Problem, sagt der Einarmige.
Die andere lacht erhitzt, weil der Mittag noch brütet, du musst es ja wissen, lacht, na, was hab ich dir gesagt, schnelle Entscheidungen liegen ihr, weisst du auch wirklich, was du tust? Der Einarmige, da es im Grunde ja nicht in Frage käme, plänkelt mit weinrebenschweifendem Blick weiter, und sie denkt, zehn Prozent sind grade genug, um drei weitere Monate über die Runden zu kommen. Ist doch gut, und sie will gar nicht wissen, woher das Geld und wohin.
Die Hoteliers, man weiß, die Wänste, die Fettschweine, die Gemästeten, Staatsschröpfer, Geizkrägen, alles wollen sie für sich und die ihren, sauberes wohlverdientes Geld, das den Schröpfern im Auftrag des Gesetzes entrungen werden muss, schon allein aus moralischen Gründen. Diese Hoteliers mit ihrem pechschwarzen Geld suchen, nicht öffentlich anzeigenmäßig, aber sie suchen: Diener, Diener der besseren Moral, der Weltoffenheit gewissermaßen, Diener der Grenzüberschreitung sozusagen, man versteht, allen ist gedient, nur dem Staat nicht. Doch, ehrlich, wer ist der Staat, und was ist das für ein Staat, in dem Halunken einer nach dem anderen regieren, und wer würde dieser Gaunerbande das Geld reinstecken? Ehrlich, uns interessiert auch gar nicht, woher dieses Geld und wohin.
Sie wird Dienerin des Geldes sein und egal welchen Geldes, sie ist über Zweifel erhaben, lässt die andere gereizt lachen, den Einarmigen seinen Kopf schütteln. Die Goldkette liegt bewegungslos auf verschwitzter Haut, sie bezeugt und unterzeichnet im Namen der besseren, gesetzlosen und im Untergrund überlebenden Moral das Geschäft. Jeder einzelne muss etwas investieren und riskieren, damit die Moral fortlebt. Nein, nein, es sind, sagt sie, ganz selbstsüchtige Gründe, der Reiz des Geldes, und fahren würde sie sowieso, und die Grenzen sind offen, also kein Risiko, kein Problem, keine Frage.
Das Geld, wo ist es. Übergabe morgen und hier am Weinbergfenster, begossen mit einem Glas Roten aus bauchiger Flasche.
Die Hoteliers, die Schweine, haben damit nichts weiter zu tun, ist doch klar, wäre doch unklug, persönliche Bekanntschaften spielen keine Rolle, nur die Moral zählt, Schweine tricksen Schweine aus. Die Moral, davon zu profitieren, ist nicht die schlechteste.
Der Asphalt schiebt sich rasend unter die Räder, Banknoten stapeln sich flach unter ihren Füßen, und die Landschaft braust vorüber, ein Frühherbsttag wie aus der Postkarte geschnitten, geradezu unglaubhaft die Silhouetten, so streng heute, frei und makellos ist das Land und doch streng und beklemmend.
Da reißt es sie hoch und sie denkt, ich behalte alles, und die Fluchtbewegung führt sie die strengen, grünen Hänge hinauf, im Flügelschlag, kraftvoll, mühelos, die letzten Kühe mit schweren Glocken tanzen mit ihr auf dem Fest der Freiheit. Freiheit, das ist es, was zählt, auf den Bergkanten, scharf am Himmel, geht es um Freiheit, und sie jubelt, reich! Endlich reich, sie erhebt sich über die Kanten hinaus, über die Gipfel hinweg in die klare Herbstluft, in den leeren Raum! Freiheit! Sie wirbelt herum, wird gewirbelt, überschlägt sich, die Banknoten fallen aus den dick gestopften Taschen der Jacke und Hose, her mit euch, in die Luft hinaus und wieder her zu mir, wie sie in der Sonne glitzern, wie der Himmel, die Landschaft sich farblich den Scheinen annähert und auch sich annähert ihrer flatterhaften Bewegung. Wie prall dieses Fest, wie flatternd sie sich eins mit den Lüften bewegt, den Scheinen, dem Himmel, wie heftig stopft sie die Festmahlzeit, die Scheine, in den Mund! Orange ist die Gier, und ein Feuerwerk die Freiheit, in welcher die Gier einem Element gleich tobt. Die durch alle Fasern peitscht, an Grenzen prallt, sich schreiend aufbäumt, sich dagegen wirft als helles Feuer und verzehrt. Der sich nichts entziehen kann, die blind vor Wut mit schlingenden Händen ausgreift, raff, raff, und nach dem Grad der Bekömmlichkeit wird nicht mehr gefragt.
Sie schlingt (das gibt Blähungen, später), zurück bleibt ein verwüsteter Raum, in dem alles tot und verbrannt, und der Raum ist umgeben von hohen Mauern.
Aber nein, sie beruhigt sich selbst. Der Asphalt schiebt sich weiter unter die Räder, das graue Band der Straße zieht sich die letzten Windungen hinauf zur Grenze. Autobahn, o du perfekte Straße des Übergangs und Übergriffs, die hohen Mauern, der Stacheldraht, beruhigt sie sich, haben nichts zu bedeuten als Grenze. Grenzen sind da, um Fragen aufzuwerfen, sind wir auf der guten oder auf der bösen Seite, sind wir auf der goldenen Seite oder im Chaos, oder gar auf der Seite des Nichts.
Fragt sich, in Gedanken an den Einarmigen und die andere, die Banknoten unter den zitternden Füßen, ob sie dem Grenzland das Niemandsland vorzieht, sagt sich, ich bin nicht dort, aber hier bin ich schon lange nicht mehr.
Wie beklemmend prall dieser Tag ist, die Bergkanten und Almen verheißen unendliche Festmöglichkeiten, verlockendes Glück. Herrliche Aussicht, Panorama der Genüsse! Sie dämpft sich, noch bin ich nicht soweit, ich bin nicht dort, und es gilt, das Niemandsland zu ertragen.
Auszuhalten sind die Momente, da sie sich der Grenze nähert, an der Drähte gespannt auf sie warten, bis sie durchgewinkt wird, und weiterfährt in den Alltag hinaus. Der, weil sie ihn geschmäht, sich verweigert. Sich versperrt, da sie zur Seite gewunken wird, überraschend. Eine Razzia? Wird nach Schleppern gesucht, und was hat das mit Ihr? Da sie aussteigen muss, während die anderen hinter ihr durchrollen, wohin?
Egal, die anderen rollen, während deine Silvesterrakete abgefeuert wird. Feuerwerk? Gewesen. Ein dünner Holzstiel, ein Stück gewickelte Pappe, letzte Schriftzeichen, chaotisch ineinanderlaufend, das ist deine Silvesterrakete, ein Gegenstand, der diese Bezeichnung nicht mehr verdient. Doch das kümmert den Gegenstand nicht, es kümmert nur dich, die Rakete befindet keinen Zustand behaglicher als den anderen – nur du.
Sie weist sich aus mit dem Rücken zur offenen Autotür, und der Mann (ein Sadist wohl) schlendert um den Wagen und mustert sie, die Papiere, das Blech. Mit einem Brillenträger im Schlepptau, was sage ich, Sonnenbrillenträger. Die Augen, die Fenster zur Seele, sind sein großes Geheimnis. Eine Frau, zwei Männer und zwei Quadratmeter Asphalt, und am Anfang waren ein Mann und zwei Frauen, ein Weinrebenhang.
Sonnenbrillenträger trommeln mit Fingern auf Blech und starren dich dabei an, ziehen dich aus, dass du schnell und auf jeden Fall weißt, wer du bist und, vor allem, wer sie sind. Noch mehr, wer das Sagen hat, nicht die Männer, die in die Wagenturöffnung kriechen, die Fußmatte aufstülpen, die Banknoten sehen, nicht sie haben das Sagen, nein, immer die Brillenträger, was sage ich, die Sonnenbrillenträger sind es. Die Männer, die die Banknoten in die Hand genommen haben, die sich schleichend umdrehen (sie sind wohl Sadisten), die die Frau nicht beachten, sondern nur die Sonnenbrillenträger meinen, indem sie ihnen die Banknoten stolz vor die glänzend blinden Augen halten, verraten sich. Sie sind die Zulieferer, die Schergen, die Beute für Anerkennung tauschen, welche die Sonnenbrillenträger, vielleicht, nicht sicher, allenfalls gnädigerweise gewähren. In jedem Fall erst retardiert, also nach längerer Zeit und bestandener Probe gewähren, unbedingt erst, nachdem Demütigung über die Bühne gegangen, messerscharf Demütigung der Objekte sowie der Konkurrenten, am besten in einem, was stilvollen Abgang garantiert und zudem Applaus des Staates, welcher ein Gaunerstaat ist, doch nicht ohne Stil.
Der Sonnenbrillenträger macht sich die Hände mit Schwarzgeld nicht schmutzig, er pflanzt sich vor sie hin, kerzengerade bis in die Wurzeln hinein, nur das Becken schiebt er vor, um zu demonstrieren, dass Gefügigkeit erwartet wird. Die sie noch meint, nicht an sich zu haben, alles, nur gefügig sein nicht. Während sie, den Einarmigen im Nacken, zu Erklärungen ausholt, die Hoteliers in der Verwandtschaft und den von der Versicherung nicht bezahlten Krankenhausaufenthalt heranzieht, schiebt er sein Becken so nahe an sie heran, dass sie beinahe klein (zum Mädchen) wird, aber dann wieder anders, nur nicht gefügig werden, und sie holt aus zu einem frechen Schlag.
Nur den Staat nicht in den Mund nehmen! sagt sie sich noch, doch ist es schon geschehen, sie hat ihn geschmäht und ist verloren. Sie geht hinter dem Mann, und der hinter dem Sonnenbrillenträger, und der Wagen bleibt offen zurück, hätte sie ihn doch verkauft, wäre sie der Normalmoral treu geblieben, oder hätte sie zum Großschlag angesetzt und wäre über die Berge geflohen, hinaus über alle Grenzen, nach Frankfurt und weiter mit Flugzeug. Sie geht in ein Gebäude hinein, Treppen hinauf, immer hinterher, und bereut.
Und weiß, es gilt, das Niemandsland auszuhalten und den Alltag zu genießen, das ist alles.
Zwei Männer und eine Frau gelangen an eine Kreuzung der Gänge, der Sonnenbrillenträger nimmt dem Mann die Banknoten ab und schickt den Träger zurück, fort! Die Frau zieht er, unsichtbar, augenlos, an sich, damit sie weiß, was sie zu tun hat, wer alle Macht, handlungsfähig, in seinen Händen hat, die (vom Urlaub gekommen) braun sind, einen goldenen Ring tragen, die Erfahrung mit Frauen besitzen, mit der Art wie sie anzupacken und anzugreifen sind: zu attackieren? - welch übertriebenes Wort in diesem Zusammenhang. Sonnenbrillenträger sehen alles verdunkelt, verzerrt, und, angelangt an der Kreuzung der Gänge, unvorsichtig geworden, schludern sie ihrem Abgang entgegen, was sie ahnen, weswegen sie noch einmal mit dem Schwanz wedeln, die Frau mit verkrampft siegessicherer Miene hinter sich her zerren, als wäre sie entweder ein Fetzen oder eine Nutte, was dasselbe ist, wie Sonnenbrillenträger wissen.
Was sie aber nicht wissen, ist der Wortlaut und die Auslegung der Gesetze, obwohl sie gelernt haben, versucht haben zu lernen, haben sie sich die Gesetze des Staates nicht gemerkt, sie waren mit anderem beschäftigt, mit Frauen wahrscheinlich, und mit der uneingestandenen Sorge, ihnen, den begehrten und verhassten, nicht zu genügen. Und darum, weil sie sich nichts gemerkt haben, stehen sie vor einer Tür und klopfen an, um das Gesetz zu hören.
Die Tür wird geöffnet, er, ihr Herrscher für die paar Minuten, muss abtreten, ein anderer Herrscher erhebt sich hinter seinem Schreibtisch und schickt den Unteren zurück, fort!
Der Fall nimmt seinen Lauf, sie büßt die Höhenflüge, den Sprung hinaus in den Himmel, die imaginären Feste und bunten Raketen, die orange Ekstase. Büßt, mit ihrer Freiheit, die sie nicht freikaufen kann, die schnellen Entscheidungen des Lebens, die Erhabenheit über Zweifel, das Luftschloss: drei ausgemalte Monate ohne Sorge. Und über all das denkt sie und denkt, und fieberhaft versucht sie, den Namen, der mit P. beginnt, Millimeter für Millimeter in ihrem Gedächtnis wieder aufzubauen. Es gelingt. Den einarmigen Herzbuben denunziert sie nicht.
Wie gut, dass die Hoteliers, die Schweine, unerkannt bleiben. Sie bestellen mit ihrem pechschwarzmoralischen Geld eine Kapelle, Trauermärsche zu blasen.